Der kleine Salon kehrt zurück: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 21. Oktober 2016, 14:17 Uhr
Abend. Es ist still. Rot glühen die Wände. Kerzenschimmer in der Ecke. Die Zuschauer setzen sich. Der kleine Salon kann beginnen.
Eine bezaubernde und freundliche Atmosphäre, wie man sie nur selten in der Aula erlebte, beherrschte diesen kleinen, kulturliebenden Kreis, auf den wir ein halbes Jahr lang warten mussten. Eine Institution, welche schon fest mit dem Namen Franz-Ludwig-Gymnasium in Verbindung steht, war zurückgekehrt: Der kleine Salon. Doch diesmal hatte sich etwas verändert! Die talentierte Nora Eugenie Gomringer, berühmt und gefeiert, führte zwei Jahre zuvor den ersten kleinen Salon auf und war somit Schöpferin eines nachträglich bedeutenden Werkes. Da sie nach ihrem Abitur verständlicherweise die Schule verlassen wollte, kam der kleine Salon unter ihrer Führung mit dem Thema "Blau" zu einem vorläufigen Ende. Doch um diese schon fast Tradition gewordene Einrichtung nicht verkommen zulassen, entschieden sich Jens-Peter Kurzella und Sebastian Schmidt, den Fortbestand des kleinen Salons zu gewährleisten. Daher fand er am 13. Dezember 2000 unter dem Thema "Abschied" erneut seinen Weg in die Schule und nicht zuletzt in unsere Herzen. Auch auf Nora E. musste nicht verzichtet werden: zum ersten Mal genoss sie ihren Salon als Gast.
Der Abend an sich verlief äußerst bunt und frisch. Während der Schwerpunkt weiterhin auf der Literatur beharrte, konnte man jedoch auch Musik und Kunst genießen. So hatte sich der Symphoniker Karlheinz Busch freundlicherweise bereit erklärt, uns mit Cello-Improvisationen zu erfreuen, während Frau Schanz-Gilg und Co. gefühlvolle Zigeunerlieder auf der Gitarre anstimmten.
Für Heiterkeit hatte zwar schon zu Beginn Dietmar Absch mit einem Kalauer gesorgt (Abschied), doch erst die Unterstufentheatergruppe von Jens-Peter Kurzella sorgte mit einem kurzen Sketch für Lacher im Publikum.
Auch wurde die Kunst nicht aus den Augen gelassen. So gewährte uns Alfred Schmitt einen nachdenklichen, doch hoch interessanten Einblick in die Grabdenkmäler der alten Griechen und ihren Umgang mit Tod und Abschied. Drei Dias wurden gleich darauf im Auftrag von Herrn Kleuderlein gezeigt. Kurz und schnell projeziert schufen sie eine verstörende und gleichzeitig auch bedenkliche Interpretation des Abschieds im Sinne der Kunst. Nach Vollendung aller Darbietungen klang der Abend schließlich traditionsgemäß im Café Müller zufrieden und glücklich aus. Wer sich diesen unvergesslichen Abend entgehen lies, hat nun die Möglichkeit, sich im Folgenden an sämtlichen Texten mitsamt dem dazugehörigen Bildmaterial zu erfreuen. Eine Sensation besonderer Art ist ein Gedicht, welches Jens-Peter Kurzella an jenem Abend eines Missverständnisses wegen nicht halten konnte. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, den Text als abrufbare Wave-Datei aufzunehmen. Somit wünschen wir ihnen auf unserer Homepage viel Vergnügen, und vielleicht ist der folgende Bericht eine Anregung, den nächsten kleinen Salon, dessen Datum noch bekannt gegeben wird, live mitzuerleben.
Programm:
Titel: An Dich Autor: Sebastian Schmidt Gelesen von: Jan Schulz
Titel: Tod1 Autor: Sebastian Schmidt Gelesen von: Jan Schulz
Titel: Tod2 Autor: Sebastian Schmidt Gelesen von: Jan Schulz
Titel: Seegespenst Autor: Heinrich Heine Gelesen von: Dietmar Absch
Titel: Hektors Abschied von Andromache (Ilias 6, 390-502, gekürzt, Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt) Autor: Homer Vorgetragen von: Matthias Büttner
Titel: Kurt Schmidt, statt einer Ballade Autor: Erich Kästner Gelesen von: Eva Busch
Titel: Das Verhängnis (oder: Auch ein Abschied) Autor: Heimito von Doderer (1896-1966) Vorgetragen von: Nora E. Gomringer
Titel: Abschied von Rom (aus: Tristia I 3 / "Lieder der Trauer") Autor: Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. - ca. 18. n. Chr.) Ausgewählt von: Dr. Baptist Deinlein
Titel: Blaue Stunde Autor: Gottfried Benn Vorgetragen von: Ulrike Stadler-Altmann
Titel: Cimitero accattolico Autor: Eva Pachale Gelesen von: Eva Pachale
Autor: Horaz Ode Gelesen und übersetzt von: Eva Pachale
Titel: Tod1
Autor: Sebastian Schmidt
Gelesen von: Jan Schulz
MEIN HERZ IST SO LEER. WIE MEINE ADERN ES SEIN WERDEN, WENN ICH DIES FENSTER ÖFFNE UND MICH HINABSTÜRZE IN DES TODES FAHLES LÄCHELN. DOCH WARUM? WAS HÄLT MICH HIER NICHT MEHR? IST ES DER SCHMERZ, WELCHEN ICH VON ALLEN WESEN UM MICH HERUM ERFAHRE. DER MICH WIE EINE SCHARFE KLINGE DURCHSTÖßT, NUR UM MIR ZU ZEIGEN, WAS FÜR EIN KLEINES, SCHWACHES MENSCHLEIN ICH BIN. DOCH WAS WILL ICH EIGENTLICH? ERLÖSUNG, JA. ABER RACHE? JA, AUCH RACHE. RACHE, WIE SIE MIR NUR SELTEN ENTGLEIDET. ABER, WAS IST ES FÜR EINE RACHE, SICH SELBST IN DEN TOD ZU STÜRZEN? VERGESSEN WIRD MAN MICH HABEN, SPÄTESTENS NÄCHSTE WOCHE. UND DIE LEUTE WERDEN SAGEN: ICH HAB' ES DOCH GEWUSST. ABER NEIN, SIE WISSEN NICHTS VON MIR, VON MEINER KUNST, VON MEINER LIEBE, VON MEINEM HASS, VON MEINER TRAUER. WAS GEHT ES SIE AUCH AN? NICHTS! VERDAMMTNOCHMAL NICHTS. UND SO SOLL MICH JETZT DER TOD EREILEN, AUF DER STRAßE, AUF DEM NASSEN ASPHALT. DORT, WO DIE ANDEREN SCHON VOR MIR LAGEN, IN DRECK UND SCHMUTZ. DORT WO MAN SOLCHE, WIE MICH HINWÜNSCHT. DOCH GOOD BYE. DIE ZEIT IST REIF. UND SCHON STEHE ICH DORT AUF DEM FENSTERBRETT UND STARRE IN DIE TIEFE. BEUG DICH NUR NACH VORNE, SAG ICH MIR UND ICH TUS. MIT LUST UND FREUD. DAMIT SIE MICH NACH UNTEN ZIEHT, DIE SCHWERKRAFT. TJA JETZT FLIEGE ICH WIE EIN VOGEL UND WEIß, DIES IST MEIN LETZTER FLUG. ICH SEHE WIE DIE STEINE, WELCHE VOLLER NÄSSE GLÄNZEND SCHIMMERN, IMMER NÄHER KOMMEN. NICHT MEHR LANGE, DANN BIN ICH WEG, WEG VON DIESER SCHANDE, WEG VON DIESEM LEID. ICH LACHE UND FREUE MICH, DENN JETZT IST'S NICHT MEHR WEIT. LEBEN WAR BRUTAL, FLIEGEN WAR SCHÖN, WAS WOHL DER TOD MIR BRINGEN MAG? NUN KANN ICH ES GLEICH SEHN. MACHTS GUT, MEINE FREUNDE UND BRÜDER. VERGESST MICH NICHT, DENN ICH WERDE WEITERFLIEGEN, DOCH IN EINEM ANDEREN LEBEN.
bumm
krach
aus
tod
Titel: Tod2
Autor: Sebastian Schmidt
Gelesen von: Jan Schulz
Der Regen fällt so schwer, auf der Steine matter Schimmer. Er wird gezogen und gibt nach, der Schwere, welche sich um ihn klammert. Will er fallen, will er zerschellen auf dem harten Grund? Ja, er will, nein er muß. Denn seine Bestimmung ist es. Da! Ein Tropfen, noch so klein. Weiß er, was mit ihm geschehen wird oder weiß es irgendeines diese Wesen, welche sich vom Himmel in Millionen stürzen. Doch wenn sie's wüßten, was tät's ihnen bringen? Nichts! Denn sterben werden sie, auch wenn es ihnen nicht passt. Aber irgendwann kommt die Sonne mit ihren langen warmen Armen und hebt sie wie von Zauberhand hoch, hoch in den Himmel, wo ein neuse Regentröpflein entsteht, welches auch hinabfallen wird. Und so geht er hin, der Kreislauf der Natur. Und niemand kann ihn stoppen.
platsch
aus
tod
Titel: Seegespenst
Autor: Heinrich Heine
vorgetragen von: Dietmar Absch
Ich aber lag am Rande des Schiffes,
Und schaute, träumenden Auges,
Hinab in das spiegelklare Wasser,
Und schaute tiefer und tiefer -
Bis tief, im Meeresgrunde,
Anfangs wie dämmernde Nebel,
Jedoch allmählich farbenbestimmter,
Kirchenkuppel und Türme sich zeigten,
Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,
Altertümlich niederländisch,
Und menschenbelebt.
Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt,
Mit weißen Halskrausen und Ehrenketten
Und langen Degen und langen Gesichtern,
Schreiten, über den wimmelnden Marktplatz,
Nach dem treppenhohen Rathaus,
Wo steinerne Kaiserbilder
Wacht halten mit Zepter und Schwert.
Unferne, vor langen Häuserreihn,
Wo spiegelblanke Fenster
Und pyramidisch beschnittene Linden,
Wandeln seidenrauschende Jungfern,
Schlanke Leibchen, die Blumengesichter
Sittsam umschlossen von schwarzen Mützchen
Und hervorquellendem Goldhaar.
Bunte Gesellen, in spanischer Tracht,
Stolzieren vorüber und nicken.
Bejahrte Frauen,
In braunen, verschollnen Gewändern,
Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand,
Eilen, trippelnden Schritts,
Nach dem großen Dome,
Getrieben von Glockengeläute
Und rauschendem Orgelton.
Mich selbst ergreift des fernen Klangs
Geheimnisvoller Schauer!
Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut
Beschleicht mein Herz,
Mein kaum geheiltes Herz; -
Mir ist, als würden seine Wunden
Von lieben Lippen aufgeküßt,
Und täten wieder bluten -
Heiße, rote Tropfen,
Die lang und langsam niederfalln
Auf ein altes Haus, dort unten
In der tiefen Meerstadt,
Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
Wo melancholisch einsam
Unten am Fenster ein Mädchen sitzt,
Den Kopf auf den Arm gelehnt,
Wie ein armes, vergessenes Kind -
Und ich kenne dich armes, vergessenes Kind!
So tief, meertief also
Verstecktest du dich vor mir,
Aus kindischer Laune,
Und konntest nicht mehr herauf,
Und saßest fremd unter fremden Leuten,
Jahrhundertelang,
Derweilen ich, die Seele voll Gram,
Auf der ganzen Erde dich suchte,
Und immer dich suchte,
Du Immergeliebte,
Du Längstverlorene,
Du Endlichgefundene -
Ich hab dich gefunden und schaue wieder
Dein süßes Gesicht,
Die klugen, treuen Augen,
Das liebe Lächeln -
Und nimmer will ich dich wieder verlassen,
Und ich komme hinab zu dir,
Und mit ausgebreiteten Armen
Stürz ich hinab an dein Herz -
Aber zur rechten Zeit noch
Ergriff mich beim Fuß der Kapitän,
Und zog mich vom Schiffsrand,
Und rief, ärgerlich lachend:
Doktor, sind Sie des Teufels?
Titel: Hektors Abschied von Andromache (Ilias 6, 390-502, gekürzt, Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt)
Autor: Homer
Vorgetragen von: Matthias Büttner
(...) Hektor eilte vom Hause Wieder denselben Weg die gutgebauten Straßen hinunter. Als er an die Tore gelangte, die große Stadt durchschreitend, Die Skäischen, wo er hindurchgehen musste zur Ebene, Da kam ihm die teuer umworbene Gattin entgegen gelaufen, Andromache, die Tochter des großherzigen Eëtion.
(...) Die kam ihm da entgegen, und mit ihr ging die Wärterin Und trug im Bausch den Knaben, den munteren, der noch klein war, Hektors Sohn, den geliebten; er glich einem schönen Stern. Den nannte Hektor Skamandrios, aber die anderen Astyanax, denn allein beschirmte Ilios Hektor. Ja, da lächelte er, auf den Knaben blickend, in Schweigen. Andromache aber trat dicht zu ihm heran, Tränen vergießend, Wuchs ihm ein in die Hand, sprach das Wort und benannte es heraus: Unbegreiflicher! Vernichten wird dich dein Ungestüm! Und nicht erbarmst du dich Deines kleinen Kindes noch meiner, der Unglücklichen, die ich bald Witwe Von dir bin! Denn bald erschlagen dich die Achaier, Alle herangestürmt. Mir aber wäre besser, Wenn ich dich verloren habe, in die Erde zu tauchen! Denn keine andere Erquickung wird mir noch sein, wenn du dem Schicksal gefolgt bist, Nein, nur Gram! Und nicht leben mir Vater noch hehre Mutter. Ja, unseren Vater erschlug der göttliche Achilleus.
(...) Auch die sieben Brüder, die mir waren in den Hallen, Die gingen alle an einem Tag in das Haus des Hades: Alle tötete sie der fußstarke göttliche Achilleus.
(...) Hektor, doch du bist mir Vater und hehre Mutter Und auch Bruder: du bist mir der blühende Lagergenosse! Doch so erbarme dich jetzt und bleibe hier auf dem Turm! Dass du dein Kind nicht zur Waise machst und deine Frau zur Witwe.
(...) Da aber sagte wieder zu ihr der große helmfunkelnde Hektor: Ja, an all das denke auch ich, Frau. Aber zu furchtbar Schäme ich mich vor den Troern und schleppgewandeten Troerfrauen, Wollte ich mich wie ein schlechter Mann vom Kampfe fernhalten. Auch heißt es mich nicht mein Mut, da ich lernte immer ein Edler Zu sein und unter den vordersten Troern zu kämpfen, Zu wahren des Vaters großen Ruhm und meinen eigenen. Denn gut weiß ich das in dem Sinn und in dem Mute: Sein wird der Tag, wo einst zugrunde geht die heilige Ilios Und Priamos und das Volk des lanzenguten Priamos. Doch nicht der Schmerz um die Troer wird mich hernach so kümmern, Selbst um Hekabe nicht und Priamos, den Herrscher, Noch um die Brüder, die da viele und edle In den Staub fallen werden unter feindlichen Männern, So wie um dich, wenn einer von den erzgewandeten Achaiern Dich Weinende wegführt und raubt dir den Tag der Freiheit.
(...) Und einst wird einer sprechen, wenn er sieht wie du Tränen vergießt: Die da ist Hektors Frau, der der Beste war im Kampf Unter den pferdebändigenden Troern, als sie um Ilios kämpften. So wird einst einer sprechen, und dir wird neu der Schmerz sein Im Entbehren eines solchen Mannes, der abwehrte den Tag der Knechtschaft. Aber mag mich doch, gestorben, die aufgeschüttete Erde decken, Ehe ich deinen Schrei vernähme und deine Verschleppung!
So sprach er und langte nach seinem Sohn, der strahlende Hektor. Zurück aber bog sich das Kind an die Brust der schöngegürteten Amme, Schreiend, erschreckt vom Anblick des eigenen Vaters. Es fürchtete sich vor dem Erz und dem Busch von Rosshaar, Den es sah, wie er furchtbar oben vom Helm hernieder nickte. Da lachte sein Vater heraus und auch die hehre Mutter. Sogleich nahm herab vom Haupt den Helm der strahlende Hektor Und setzte ihn nieder zu Boden, den hellschimmernden. Doch wie er nun seinen Sohn geküsst und in den Armen geschwungen, Sprach er und betete zu Zeus und den anderen Göttern: Zeus und ihr anderen Götter! Gebt, dass auch dieser, Mein Sohn, werde wie auch ich: hervorragend unter den Troern Und so gut an Kraft, und dass er über Ilios mit Macht gebiete. Und einst mag einer sagen: Der ist viel besser als der Vater! Wenn er vom Kampf kommt. (...)
So sprach er und legte seiner Gattin in die Arme Seinen Sohn, und sie empfing ihn in dem duftenden Bausch des Gewandes, Unter Tränen lachend. Den Mann erbarmte es, als er es sah, Und er streichelte sie mit der Hand, sprach das Wort und benannte es heraus: Unbegreifliche! quäle dich mir nicht gar zu sehr in deinem Mute! Denn über mein Teil hinaus wird mich kein Mann dem Hades vorwerfen! Aber dem Schicksal, sage ich, ist keiner entronnen von den Männern, Nicht gering noch edel, nachdem er einmal geboren.- Doch du geh ins Haus und besorge deine eigenen Werke: Webstuhl und Spindel, und befiehl den Dienerinnen, An ihr Werk zu gehen. Der Krieg ist Sache der Männer, Aller, und zumeist die meine, die wir angestammt sind in Ilios.
So sprach er und nahm den Helm, der strahlende Hektor, Mit dem Rossschweif. Seine Gattin aber schritt dem Haus zu, Immer wieder sich umwendend und reiche Tränen vergießend. Und schnell gelangte sie dann zu den wohlbewohnten Häusern Hektors, des männermordenden, und traf drinnen die vielen Dienenden Frauen und erregte unter ihnen allen die Klage. Ja da erhoben sie über den noch lebenden Hektor In seinem eigenen Hause die Totenklage. Denn nicht mehr, meinten sie, werde er aus dem Kampf Wiederkehren, entronnen der Kraft und den Händen der Achaier.-
Titel: Kurt Schmidt, statt einer Ballade
Autor: Erich Kästner
Gelesen von: Eva Busch
Titel: Das Verhängnis (oder: Auch ein Abschied)
Autor: Heimito von Doderer (1896-1966) Vorgetragen von: Nora E. Gomringer aus: Heimito von Doderer: Die Erzählungen. München 1995. Zitiert nach: Schünemann, Peter (Hg.): Lauter Abschiede. Ein Lesebuch. München: Beck 1996 S. 118)
Sie war noch jung, sie war hübsch und drall und froh. Nun gut, aber irgend ein Haken wird dabei sein, sonst wäre ja keine Geschichte daraus geworden. Wohlan! Sie war in fester Stellung, bei den Damen ihrer Kundschaft war sie sehr beliebt, sie hatte auch Freude an ihrer Tätigkeit, der sie in modernen, hellen und gelüfteten weißgekachelten Räumen nachging. Nun ja, aber wir wissen doch -. Sie lernte einen jungen Mann kennen, er war ein netter Bursche, ein wohlanständiger Kerl, ebenfalls fix angestellt. Die beiden hatten einander erst zwei- oder dreimal in einem Parke getroffen. Aha! Beim dritten Male fragte er sie teilnehmend, welchen Beruf sie denn ausübe? "Ich bin Toilettenfrau", sagte sie, blickte durch einige Sekunden verzweifelt vor sich hin, und fügte, gleichsam entschuldigend, hinzu: "Am Hauptbahnhofe." "Das geht nicht", sagte er. Und verließ sie zur selben Stunde.
Titel: Abschied von Rom(aus: Tristia I 3 / "Lieder der Trauer")
Autor: Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. - ca. 18. n. Chr.)
Ausgewählt von: Dr. Baptist Deinlein
Vorbemerkung: Im Jahre 8 n. Chr. wird der Dichter Ovid aus bis heute nicht restlos geklärten Gründen von Kaiser Augustus aus Rom verwiesen und nach Tomis (dem heutigen Konstanza) am Schwarzen Meer verbannt. Für den erfolgreichen Autor, der die Weltstadt zum Leben brauchte, kam diese Verbannung in ein völlig unzivilisiertes Land einem Todesurteil gleich. Aus der Retrospektive schildert Ovid, der bis zu seinem Tode nicht begnadigt wurde, in ergreifender Weise den Abschied von Rom.
Tritt das Bild jener schrecklichen Nacht mir wieder vor Augen, welche für mich in der Stadt blieb als die späteste Frist, Denk' ich wieder der Nacht, da ich so viel Teures verlassen, dringen die Tränen mir jetzt noch aus den Augen hervor.
Schon war gekommen der Tag, da mir der Wille des Kaisers Abschied zu nehmen befahl von dem italischen Strand.
Weder hatt' ich Besinnung noch Ruhe, genug mich zu rüsten; war doch der Geist mir erstarrt während des langen Verzugs.
Nicht mir Diener und nicht mir Begleiter zu wählen bedacht' ich, nicht das Geld und das Kleid, wie ein Verbannter sie braucht, war nicht anders betäubt als wer, vom Blitze getroffen, lebt und ist sich doch selbst nicht seines Lebens bewußt.
Doch als gerade der Schmerz diese Trübung des Geistes entfernte, als meine Sinne zuletzt endlich sich wieder erholt, sagt' ich ein Abschiedswort, ein letztes, den trauernden Freunden: hielt von den vielen doch nur dieser und jener zu mir.
Liebend umfing die Gattin den Weinenden, heftiger weinend: über ihr schuldlos Gesicht strömten die Tränen hinab.
Weit war die Tochter entfernt am entlegenen libyschen Strande, konnte von meinem Geschick noch unterrichtet nicht sein.
Rings, wohin man auch blickte, war Trauer und Jammer zu hören; Totenklage, so schien's, schallte im Inneren laut; Männer und Frauen, ja Sklaven betrauern mich wie einen Toten: da ist kein Winkel im Haus, wo man nicht Tränen vergießt.
Wenn es erlaubt ist, im kleinen zu nennen solch mächtiges Beispiel, sah es wie Trojas Bild bei der Eroberung aus.
Endlich ruhte das Reden der Menschen, das Bellen der Hunde; schon hoch oben der Mond lenkte sein nächtlich Gespann.
Als ich ihn sah und von ihm meinen Blick hin wandte zur Hochburg - lag sie doch unserem Haus leider vergebens so nah -, sagt' ich: "Gottheiten ihr, die ihr rings in der Nachbarschaft waltet, Tempel, die ich schon bald nimmer mit Augen soll schaun, Götter, von denen ich scheide, umhegt von der Burg des Quirinus droben - für alle Zeit seid mir in Ehrfurcht gegrüßt!
Und wiewohl ich den Schild zu spät, schon verwundet ergreife, macht den Verbannten doch frei von des Gewaltigen Haß!
Sagt dem göttlichen Mann, welcher Wahn mich verblendete, zeigt ihm so meine Schuld, daß sie ihm nicht als Verbrechen erscheint, daß, was ihr wißt, auch er, der die Strafe verhängt hat, erkenne: habe den Gott ich versöhnt, kann ich unselig nicht sein."
So zu den Himmlischen betet' ich selbst und mehr noch die Gattin: Schluchzen hemmte sie oft mitten im flehenden Ruf.
Auch vor den Laren dann warf sie sich nieder mit wehenden Haaren, rührte mit zitterndem Mund an den erloschenen Herd, redete Worte gar viel zu den feindlich gesinnten Penaten, richtete doch für den Mann, den sie beweinte, nichts aus.
Und schon versagte die eilende Nacht ein weiteres Zögern, und der parrhasische Bär hatte den Pol schon umkreist.
Was sollt' ich tun? Die zärtliche Liebe zum Vaterland hielt mich; doch nur die einzige Nacht ließ der Verbannungsbefehl.
Ach, wie vielmals sagt' ich, wenn jemand mich mahnte: "Was drängst du? Sieh doch, wohin du zu gehn treibst und von wo du mich jagst!" Ah, wie vielmals hab' ich gelogen, bestimmt sei die Stunde, die zur gebotenen Fahrt mir als geeignet erschien!
Dreimal betrat ich die Schwelle, und dreimal ließ ich mich rufen und meinem Herzenstrieb folgte der zaudernde Fuß.
Oftmals sagt' ich Lebwohl und redete wiederum vieles, und einen letzten Kuß gab ich, als wollt' ich nun gehn.
Oft wiederholt' ich den nämlichen Auftrag, ohn' es zu merken, wandte noch einmal den Blick zu den Geliebten zurück.
Schließlich sagt' ich: "Was eil ich? Nach Skythien soll ich ja gehen, scheiden von Rom: das sind zwei Gründe, um noch zu verziehn.
Mir, der doch lebt, wird für ewig die lebende Gattin entrissen, mir wird versagt auch das Haus und was es Holdes mir birgt, sie auch, die ich geliebt wie ein Bruder, meine Gefährten, Herzen, die treu mir vereint bleiben wie Theseus dem Freund!
Jetzt, da ich darf, will ich noch sie umarmen: denn fürderhin darf ich's niemals vielleicht; so dient mir diese Frist zum Gewinn."
Rasch nun! Ich unterbreche, was noch ich zu sagen gedachte, alles umfangend im Geist, was meinem Herzen vertraut.
Während ich sprach und wir weinten, da stieg zu der Höhe des Himmels strahlend der Morgenstern, unheilverkündend für uns.
Ganz so ist meine Trennung, als ließe ich eigene Glieder, ja, ein Teil meines Leibes löst sich, so scheint's, von mir ab.
Metteus hat solches erduldet, als einst nach verschiedenen Seiten Pferde zur Züchtigung ihn rissen für seinen Verrat.
Vollends brechen die Meinigen aus in Schreien und Jammern, schlagen mit trauernder Hand sich an die nackende Brust; vollends hängte die Frau sich nun an des Scheidenden Schultern, während ich Tränen vergoß, sprach sie die Worte zu mir: "Trennen kann man uns nicht: laß zusammen von hinnen uns gehen!
Dir will ich folgen: verbannt sei ich mit dir als dein Weib!
Auch für mich ist ein Weg gebahnt, ist Raum in der Fremde, und in das Flüchtlingsschiff steig ich als winzige Last.
Dich heißt zürnend der Kaiser die Heimaterde verlassen, mich die Liebe: so wird Liebe ein Kaiser mir sein."
Solches versuchte sie jetzt, wie sie es zuvor schon versuchte: schwer nur fügte sie sich dem, was der Nutzen gebot.
Ging ich? Ach nein, man trug hinweg mich gleich einem Leichnam, struppig, das Haar im Gesicht, und mein Gewand war beschmutzt.
Sie war von Sinnen vor Schmerz, erzählt man, und plötzlich umnachtet, sank sie mitten im Haus nieder und war wie entseelt.
Als sie dann zu sich gekommen und sich von den frostigen Fliesen aufgerichtet, das Haar schmutzig, vom Staube entstellt, hat sie sich selber beweint und beweint die verwaiste Behausung, ihres entrissenen Manns Namen gerufen im Leid, hat dann gejammert, als sähe sie Scheiterhaufen errichtet, müsse der Tochter, des Manns Leichenverbrennungen sehn; sterben wollte sie da, von nichts mehr wissen im Tode; nur der Gedanke an mich hielt sie im Leben zurück.
Lebe sie für den Entfernten, da so das Schicksal es fügte!
Lebe sie, daß sie ihm stets tröstliche Hilfe gewährt!
(aus: Publius Ovidius Naso: Briefe aus der Verbannung. Tristia. Epistulae ex Ponto. Lateinisch und deutsch. Übertragen von Wilhelm Willige. Eingeleitet und erläutert von Niklas Holzberg. Zürich: Artemis & Winkler 21995, S. 23-31)
Titel: Blaue Stunde
Autor: Gottfried Benn
vorgetragen von: Dr. Ulrike Stadler-Altmann
Ich trete in die dunkelblaue Stunde -
da ist der Flur, die Kette schließt sich zu
und nun im Raum ein Rot auf einem Munde
und eine Schale später Rosen - du!
Wir wissen beide, jene Worte,
die jeder oft zu anderen sprach und trug,
sind zwischen uns wie nichts und fehl am Orte:
Dies ist das Ganze und der letzte Zug.
Das Schweigende ist so weit vorgeschritten
und füllt den Raum und denkt sich selber zu
die Stunde - nichts gehofft und nichts gelitten -
mit ihrer Schale später Rosen - du.
Dein Haupt verfließt, ist weiß und will sich hüten,
indessen sammelt sich auf deinem Mund
die ganze Lust, der Purpur und die Blüten
aus deinem angeströmten Ahnengrund.
Du bist so weiß, man denkt, du wirst zerfallen
vor lauter Schnee, vor lauter Blütenlos,
todweiße Rosen Glied für Glied - Korallen
nur auf den Lippen, schwer und wundergroß.
Du bist so weich, du gibst von etwas Kunde,
von einem Glück aus Sinken und Gefahr
in einer blauen, dunkelblauen Stunde
und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war.
Ich frage dich, du bist doch eines andern,
was trägst du mir die späten Rosen zu?
Du sagst, die Träume gehn, die Stunden wandern,
was ist das alles: er und ich und du?
"Was sich erhebt, das will auch wieder enden,
was sich erlebt - wer weiß denn das genau,
die Kette schließt, man schweigt in diesen Wänden
und dort die Weite, hoch und dunkelblau."
Titel: Cimitero accattolico
Autor: Eva Pachale
gelesen von: Eva Pachale
Der Friedhof ist von einer hohen Mauer umgeben. Das Tor ist verschlossen, der Besucher muss klingeln, dann wird ihm Zutritt gewährt. Der blau gekleidete Arbeiter begrüßt ihn, erklärt ihm kurz die möglichen Wege und kehrt dann an seine Arbeit zurück, einen Grabstein. Dem Namen des Mannes fügt er den Namen der Frau hinzu. Unwillkürlich spricht jeder leise. Nur das Klingen der Hammerschläge, ein metallisches Stakkato, ist weit über den Friedhof zu hören. Der Besucher folgt dem Weg zur Pyramide, wo nur vereinzelt Steine auf der weiten Rasenfläche stehen. Er kommt zu Keats Grab, der namenlos begraben sein wollte. Sein Wunsch ist nicht ganz respektiert: Zwar fehlt der Name auf dem Stein, doch ist der Platz von Keatsverehrern umstellt, die nun sich selbst in Lobgedichten verewigen. Dennoch: Dies ist ein Friedhof der Gescheiterten, trotz Keats und Shelley, deren Namen der Besucher kennt. Ein Friedhof der früh, zu früh Gestorbenen. Vielleicht starben sie, von der Sehnsucht gezogen, an der Enttäuschung, ein leichtes Opfer für das Sumpffieber in den verwilderten römischen Ebenen? Oder sie starben auf der Flucht, vor einem großen Namen, einem großen Vater, wie Goethes Sohn, der nicht einmal auf seinem Grabstein mit seinem eigenen Namen genannt ist. August hieß er, der Erhabene, mit kaiserlichem Beinamen liegt er an kaiserlichem Ort: ein kleiner Trost. Oder sie starben so jung, dass ihr Leben noch nicht nach Jahren zu zählen ist, und liegen jetzt unter einem Gedicht, so anrührend, dass wir weinen müssen und dann beschämt und leicht gehen können. Der Wächter entlässt uns aus demselben Tor, das er hinter uns behutsam wieder verschließt. Er versichert uns auf Anfrage, dass wir wiederkommen dürfen, für immer. Die einzige Bedingung ist, dass wir Ausländer sind, Fremde, und nicht katholisch.
Autor: Horaz Ode
Gelesen und übersetzt von: Eva Pachale
Frage nicht! Frevel ist es dies wissen zu wollen, das Ende, das die Götter dir und mir bestimmt. Frag auch die Sterne nicht!
Lieber wollen wir das ertragen, was kommt: Vielleicht noch viele Winter, vielleicht ist dies der letzte, der jetzt Fels und Meer aufeinander hetzt.
Weise sei! Lass fließen den Wein - vergiss die großen Pläne für die so kurze Frist - während wir sprechen, flieht eifersüchtig die Zeit.
Dies ist dein Tag - traue dem Morgen nicht.