Der Zwanziger Jahre Salon: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 17. April 2013, 18:07 Uhr
Im Schuljahr 2008/2009 meldete sich der Salon mit neuen Projekten und unter einem neuen Führungsduo zurück: Daniela Hertje und Irene Schleifer (noch 11 A, dann KS 12) präsentierten, unterstützt von Herrn Kurzella und Frau Pachale, am 11. Dezember 2008 einen "Zwanziger Jahre Salon".
Programm:
KLEINER SALON DER ZWANZIGER JAHRE (FLG 11.12.2008)
1. Intro: “Cabaret” (Liza Minelli) Kästner über den Nutzen der Literatur (J. Kurzella)
2. Lyrisch-programmatische Einführung: Die “Neue Sachlichkeit” (Irene Schleifer, KS 12)
3. Chronik der Zwanziger Jahre (I) (Rupert Plischke)
4. L. Siegemund / I. Schleifer (KS 12): “Der böse Baal und der Mantel” (Szene nach Brecht)
5. Der Friedhof der vergessenen Bücher der Zwanziger Jahre I (J. Kurzella) u. a. mit Klabund: „Die heiligen drei Könige“ und seinem „(o)ffene(n) Brief an die Nationalsozialistische Freiheitspartei“ (Christina Lotter KS 13; Lukas Siegemund KS 12)
6. Inflation und Wirtschaftskrise: Fallada, Kleiner Mann, was nun? (R. Plischke) und Tucholsky: Handelsteil (T. Hillenbrand)
7. Zeit der Innovationen: Surrealismus (H. Schanz, A. Skowronski, KS 13) und Psychoanalyse (J. Schuster)
8. Die Filmkunst der Leni Riefenstahl (J. Behr)
9. : Charleston live (S. Herzog und FLG-Bigband)
10. Wahlaufruf zur Reichspräsidentenwahl 1925 vom Reichsblock für Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (Lukas Siegemund, KS 12)
11. Chronik der Zwanziger Jahre (II) (R. Plischke)
12. Else Lasker-Schüler: „Die größte Dichterin deutscher Sprache“ (Daniela Hertje, KS 12)mit einer kurzen Einführung von Peter Hille
13. Der Friedhof der vergessenen Bücher der Zwanziger Jahre II (J. Kurzella, u. a. mit Emmy Hennings-Ball („Das Brandmal“) und Hans Henny Jahnn („Perrudja“)
14. Brechts Weihnachtsgedicht (Christina Lotter, KS 13)
15. Tucholsky: “Der Mensch” (J. Kurzella)
Der literarische Salon gewinnt an geschichtlicher Tiefe: die Zwanziger Jahre als Spiegel der Gegenwart?
Unter dem Motto der „Zwanziger Jahre“ war der „Kleine literarische Salon“ am FLG wieder einmal einberufen worden – und diesmal mit neuem Organisationsteam, nachdem die Gruppe um Jenny Bode mit dem Ende des letzten Schuljahres das FLG verlassen hatte. Doch war es den Kollegiatinnen Irene Schleifer und Daniela Hertje gelungen, die Lücke problemlos auszufüllen: mit neuem Schwung und vielen Ideen, unterstützt wie immer von den Kollegen Jens-Peter Kurzella und Eva Pachale sowie von Schülerseite diesmal vor allem durch Lukas Siegemund (ebenfalls K12). Dabei besteht der Reiz der „literarischen Salons“, die „klein“ zu nennen eine beinahe unstatthafte Untertreibung ist, nicht zuletzt in den relativ offenen Themen, die weite Räume aufschließen helfen und viele Anregungen zusammenzuführen erlauben.
So gab es viele Erinnerungen an Highlights der Ära wie den Durchbruch des Kabaretts an sich, Lieder von Bert Brecht und Kurt Weill sowie prominente Vertreter der Literatur – eben, mehrfach, Brecht und Tucholsky sowie Kästner neben Else Lasker-Schüler: „kein Abend zur Literatur der 20er Jahre ohne Else Lasker-Schüler“, wie J.-P. Kurzella in seiner kurzen Anmoderation vermerkte.
Daneben stand eine unter dem Diktat der Kürze geistreich und humorvoll gestraffte Skizze zu Freuds Psychoanalyse, die Jochen Schuster launig vorstellte, sowie eine kenntnisreiche Einführung in den französischen Dadaismus und Surrealismus durch Herbert Schanz, der ausgehend vom dadaistischen Manifest des Tristan Tzara (1922) die Bedeutung der `Abdankung der Vernunft als Richtschnur menschlichen Handelns´ angesichts der Gräuel des Ersten Weltkrieges schilderte und das von den Künstlern neu ausbalancierte Verhältnis von Traum und Wirklichkeit skizzierte. Abschließend gab er zwei französische Gedichte der Zeit zum Besten; das zweite bezeichnenderweise ohne Übersetzung, dafür in derart virtuosem Vortrag, dass es zum wahren Fest von Klang und Rhythmus wurde.
Klang und Rhythmus in überaus glanzvollem Gewand, das präsentierte auch die Bigband, die unter der Leitung von Sabine Herzog die Chance zum rauschenden Auftritt nutzte und das Publikum mit Charleston-Klängen nach der Pause wieder in die Aula lockte. Im smarten 20er-Jahre-Outfit präsentierten sich die Musiker hier bestens aufgelegt; und besonders erfreulich ist – trotz allem personellen Wechsel in der Musikfachschaft, trotz aller schulischen Belastung durch u.a. das G8 – besonders erfreulich also ist die Kontinuität des Ensembles: zu sehen, wie die ehemals „Kleinen“ nun als veritable Solisten hervortreten und die Zuhörer begeistern! Als unbedingt beeindruckend mutig und in Sprache wie Vortrag überaus gelungen ist auch der Wahlaufruf zugunsten von Hindenburg als Präsident der Weimarer Republik einzuschätzen, den Lukas Siegemund im zweiten Teil vorstellte: in dieser selbst verfassten (!) Rede bündelte er die historischen Hoffnungen, Sorgen und Ängste der Rechten ebenso wie geschickt eingesetzte rhetorische Mittel. Chapeau!
Um den Blick über eine nur europäische, gar deutsche Nabelschau hinaus zu erweitern hatte Rupert Plischke eine ausschnitthafte „Chronik“ der 20er Jahre konzipiert: von Indien bis Kolumbien, von der Erfindung des Radios bis zum musikalischen Leben in Berlin spannte sich hier der Bogen, während Jens-Peter Kurzella seine Shortlist der „vergessenen Bücher“ der Epoche vorstellte. „Seine“ besten Drei: „Krankheit der Jugend“ von Ferdinand Bruckner, „Die Verstümmelten“ von Erich Unger sowie als sprachgewaltig-hochexpressiver Seelenzeichner Hans Henny Jahnn mit seinem Roman „Perrudja“ aus dem Jahr 1928.
In der Pause gab es – neben dem Getränkeausschank durch das bewährte SMV-Team Stummfilme zu betrachten; die Bedeutung der Leni Riefenstahl als Tanzkünstlerin wurde zuvor von Julia Behr (mit Unterstützung durch Irene Schleifer) angesprochen. Zwischendurch trugen Daniela Hertje, Lukas Siegemund und Christina Lotter verschiedene Gedichte und kürzere Beiträge von Klabund, Lasker-Schüler und Brecht vor, unter anderem eine zynische Theaterstudie über Armut und bürgerliche Eiseskälte (I. Schleifer, L. Siegemund) – die auch in der lauschig kerzenerhellten Aula frösteln machte …
Mit einer langen, beinahe schon oscarreifen Dankesliste an all die Freunde und Unterstützer des „kleinen literarischen Salons“ beendete Jens-Peter Kurzella dann den facetten- und ideenreichen Abend.
Rupert Plischke
Der Friedhof der vergessenen Bücher der Zwanziger Jahre
(eine subjektive Auswahl von J.-P. Kurzella)
15. Platz: Bert Brecht: Im Dickicht der Städte
14. Platz: Robert Musil: Drei Frauen
13. Platz: Hermann Hesse: Der Steppenwolf
12. Platz: Franz Kafka: Amerika
11. Platz: Kurt Schwitters: Zusammenstoß
10. Platz: Gustav Meyrink: Der weiße Dominikaner
9. Platz: Marieluise Fleißer: Fegefeuer in Ingolstadt
8. Platz: Klabund: Lyrik (z.B. Die Harfenjule)
7. Platz: Leo Perutz: Der Meister des jüngsten Tages
6. Platz: Franz Werfel: Abituriententag
5. Platz: Emmy Hennings-Ball: Das Brandmal
4. Platz: Lion Feuchtwanger: Jud Süß
3. Platz: Ferdinand Bruckner: Krankheit der Jugend
2. Platz: Hermann Ungar: Die Verstümmelten
1. Platz: Hans Henny Jahnn: Perrudja
noch nicht ganz vergessen: Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Else Lasker-Schüler, Joachim Ringelnatz sowie die „großen“ Werke von Thomas Mann (z.B. „Der Zauberberg“), Franz Kafka (z.B. „Der Prozess“) oder Bert Brecht (z.B. „Die Dreigroschenoper“).
wiederentdeckenswert: die frühen Schriften von Klaus Mann oder Hermann Broch, Joseph Roth (2009: 70. Todestag!), Gertrud Kolmar oder Leonhard Frank.
Die Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg (bekannt durch Remarque) gestaltet sich besonders widersprüchlich, wenn man Ernst Jünger: „In Stahlgewittern“ (1920) und Ludwig Renn: „Krieg“ (1928) nebeneinanderstellt.